taz review
Mit Arthur Rimbaud in der Wüste
Die Mekons, Helden des britischen Postpunk, veröffentlichen ein neues Album, „Deserted“, und kommen damit auf Tour
„In the Desert“ zeichnet eine vom Krieg verwüstete Landschaft
Von Robert Mießner
Das Lieblingsinstrument der Klapperschlange ist und bleibt die Stromgitarre. Wie das klingt, lässt sich in den ersten 15 Sekunden von „Deserted“, dem neuen Studioalbum der britisch-amerikanischen Punkband Mekons, hören: Von Wüstensonne träge, gemein und zielsicher schleicht sich ein Gitarrenfeedback an und ruft ein Rockensemble in full swing mit einer vehementen Violine auf den Plan.
„Lawrence of California“ heißt der Song, und genau dort, in der Joshua-Tree-Wüste, haben die Mekons ihr erstes Werk seit acht Jahren eingespielt. „Lawrence of California“ hat alles, was einen Hit ausmacht, und wird trotzdem seine Schwierigkeiten im Frühstücksradio haben: Denn die Mekons haben dem Stück eine fast anderthalbminütige instrumentale Coda verpasst, auf der sie die anfängliche Hitze behutsam runterköcheln lassen. Ganz langsam verabschiedet sich das Schlagzeug, bis nur noch die Klangschlieren der Saiteninstrumente durch den Raum wehen.
In welchem Film sind wir hier? Als die Mekons im mythenumwobenen Punkjahr 1977 im nordenglischen Leeds anfingen, teilten sie sich den Probenraum und das Equipment mit den Funkmarxisten der Gang of Four. Sie waren, schreibt Simon Reynolds, eine anarchische Truppe, „eine, die eigentlich keinerlei Erfolg hätte haben dürfen“. Ob bewusst oder unbewusst setzten die Mekons dem Politpunk ihrer Tage, der auch immer etwas Machohaftes hatte, eine Alltagssensibilität entgegen: „Never Been in a Riot“ nannten sie ihre Debütsingle.
Dabei sollten es die Mekons sein, die 1985 mit „Fear and Whiskey“ ein Album vorlegten, dessen dystopische Tönung auf den im Vorjahr begonnenen britischen Bergarbeiterstreik verwies. Ein Arbeitskampf, zu dessen Unterstützung sich die damals bereits stillgelegte Band noch einmal zusammengefunden hatte. Sally Timms und Jon Langford sind Ende der Achtziger in die USA ausgewandert, die Mekons hatten begonnen, Folk- und Countryelemente in ihren Sound einzubauen und mit linken Inhalten zu kreuzen.
Dieser beherzte Kunstgriff ist es auch, der nun „Deserted“ ausmacht: Die aktuelle Besetzung der Mekons spielt fast schon klassisch zu nennende Balladen, „Harar 1883“ zum Beispiel, einen Song über Arthur Rimbaud, ein Porträt des Dichters in dem Moment, da er die Literatur an den Nagel gehängt hatte und als Handlungsreisender in Äthiopien und Somalia unterwegs war. Im Booklet des Albums steht über dem Text noch eine Überschrift: „Parched Dry Couplets“, verdorrte Reime. Dass Rimbaud einer gewesen sein mag, der die Wüste bereits in sich trug, bevor er sie bereiste, ist fast schon zu naheliegend.
„Deserted“ hat filmische Qualitäten, ist ein Album von Räumen, die als offene geträumt werden: die Wüste, das Meer, die Sterne. Doch die Zufluchten erweisen sich als zugestellt. Das Herzstück des Albums, „In the Desert“, zeichnet eine vom Krieg verwüstete Landschaft, Bush und Blair treten auf. „Weimar Vending Machine“ bringt Iggy Pop ins Spiel, wie er aus einem Westberliner Snackautomaten ein Sandwich zu ziehen versucht. Er erhält ein Päckchen voller Sand. Spätestens wenn Sally Timms das traurige Finale „After the Rain“ singt, „Come back, come back later“, wird deutlich: Der Schwung, mit dem „Deserted“ einsetzt, ist weniger Ausgelassenheit als Zorn. Vorher, in „Andromeda“, dem retardierenden Moment des Albums, heißt es: „The dirt doesn’t care.“ So wird es sein; der Schmutz, er schert sich einen Dreck.